Der Calvinismus (auch Kalvinismus) ist eine theologische Bewegung, die auf den Lehren des in der Republik Genf arbeitenden französischen Reformators Johannes Calvin beruht, dessen Denken die reformierten Kirchen Kontinentaleuropas sowie die Presbyterianer und einige andere Kirchen vor allem im angloamerikanischen Raum nachhaltig geprägt hat. Calvins Denken wirkte neben den reformierten Kirchen auch auf nahezu alle anderen Kirchen im angloamerikanischen Raum mehr oder weniger stark ein.
Die Theologie Calvins betont die unbedingte Heiligkeit Gottes. Alles Menschenwerk, sogar die Glaubensentscheidung und nicht zuletzt der Kultus der katholischen Kirche mit Sakramenten, Reliquien oder Ablass galten ihm als Versuche, die Souveränität Gottes einzuschränken und an Irdisches zu binden.
Fester Bestandteil von Calvins Lehre war auch die doppelte Prädestination (Vorherbestimmung ), wonach Gott ein für alle Mal vorherbestimmt habe, ob ein bestimmter Mensch auf dem Weg zur ewigen Seligkeit oder zur ewigen Verdammnis sei. Calvin sah in seiner Vorherbestimmungslehre einen dreifachen Nutzen: Sie führe zu Gewissheit, Demut und Dankbarkeit. Da die Absichten Gottes den Menschen verborgen bleiben, müsse jeder im Sinne einer tugendhaften Lebensführung handeln, also so, als ob er von Gott auserwählt sei. Unbändiger Fleiß, individueller und wirtschaftlicher Erfolg können in der Folge als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden. Jedoch hat der Mensch keinerlei Einfluss auf die göttliche Entscheidung. Ob jemand nach dem Tod in der Hölle landet oder zum Himmel auffährt, wurde bereits zu Anbeginn der Zeit festgelegt. Was der Mensch nun versucht, ist, sich selbst durch seine Tugendhaftigkeit Gewissheit darüber zu verschaffen, dass er auserwählt sein müsse.
Ein solches Gottesbild, wonach Gott willkürlich bestimmte Menschen für das Heil auswählt und andere verwirft, wird von vielen Christen abgelehnt.
Staat und Gesellschaft
Calvins Gottes- und Menschenbild enthält strenge Züge, aber auch starke Elemente der Freiheit, die ab dem 17. Jahrhundert zunehmend entfaltet wurden. Sie betrafen hauptsächlich Staat und Gesellschaft. Im Mittelalter bildeten Staat und Kirche eine Einheit. Beide waren streng hierarchisch gegliedert. Luther vollzog durch seine Zwei-Reiche-Lehre die grundsätzliche Trennung von Geistlichem und Weltlichem. Calvin übernahm diese Lehre und schuf, davon ausgehend, in zweifacher Hinsicht die geistigen Voraussetzungen für die Entwicklung demokratischer Strukturen.
Die erste Voraussetzung war die außerordentlich starke Aufwertung der Laien in der Kirche. Die zweite Voraussetzung für das Entstehen demokratischer Strukturen im angloamerikanischen Raum war, dass Calvin als beste Regierungsform eine Mischung aus Demokratie und Aristokratie favorisierte. Die Monarchie kam für ihn nicht in Frage, weil nach der geschichtlichen Erfahrung Könige dazu neigten, alle Macht an sich zu reißen – zum Schaden ihrer Untertanen. Das Wohlergehen der einfachen Menschen war aber Calvins Kriterium für eine gute Staatsform. Um politischen Machtmissbrauch zu verhindern, schlug er deshalb ein System von weltlichen Instanzen vor, die sich gegenseitig eingrenzen und kontrollieren (Gewaltenteilung). Ein weiterer wichtiger Aspekt von Calvins Staatstheorie war seine Auffassung vom Recht auf Widerstand gegen einen tyrannischen Herrscher.
Im 19. Jahrhundert engagierten sich die von Calvin geprägten oder stark beeinflussten Kirchen bei vielen sozialen und politischen Reformen in der angloamerikanischen Welt, beispielsweise bei der Abschaffung der Sklaverei, Einführung des Frauenwahlrechts, Gründung von Gewerkschaften und der britischen Labour Party.
Die reformierten Kirchen betreiben seit jeher eine Fülle diakonischer und humanitärer Einrichtungen (Krankenhäuser, Seniorenheime, Einrichtungen für behinderte Menschen, Schulen, Hochschulen usw.) im In- und Ausland (z. B. Entwicklungsländer). Beispielsweise gründeten Kongregationalisten in Massachusetts bereits 1636 Harvard College. Im 18. Jahrhundert folgten Yale und etwa ein Dutzend weiterer Hochschulen. Sie sind heute meistenteils unabhängige Einrichtungen.
Globale Einflüsse
Die Grundsätze der amerikanischen Verfassung fanden Eingang in die Charta und die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, die der demokratischen Staatsform und den Menschenrechten universelle Gültigkeit zuschreiben.
Auch die preußische Verfassung von 1848/49, die Verfassung der Weimarer Republik und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland orientierten sich an den amerikanischen Verfassungsprinzipien (z. B. republikanische und föderale Staatsform, Grundrechtekanon, Bundesverfassungsgericht).
Als Reaktion auf die Verelendung großer Teile der ländlichen und städtischen Bevölkerung riefen ab 1844 in England Mitglieder der Kongregationalisten, Methodisten, anderer Freikirchen und Anglikaner Genossenschaften als Selbsthilfeorganisationen ins Leben. In Deutschland schuf der Reformierte Friedrich Wilhelm Raiffeisen aus christlicher Gesinnung ab 1846 ein dichtes Netz von Genossenschaften. Henry Dunant, ein reformierter Pietist, leistete einen großen Beitrag zum humanitären Völkerrecht. Das Rote Kreuz war seine Gründung. Zudem war er die treibende Kraft bei der Formulierung der Genfer Konventionen.
Quellen
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